Werte Anhänger des guten Geschmacks,
wenn wir mal was machen, dann machen wir’s auch richtig:
Natürlich bleibt es nicht bei einem einzelnen Lesepröbchen, nein, wir haben
natürlich noch eins in der Hinterhand.
Der nächste Appetithappen aus „…als mein Wahn deine Realität schluckte (3 Wege
ins Chaos und wieder zurück)“ stammt aus „Brief
an Tralfamadore“, der zweiten Geschichte im Buch.
Und wiederum wünschen wir: Viel Lesevergnügen.
Es grüßt das fleißige Bienchen
S.
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… war noch sehr jung, als man mir beibrachte, sich mit
Sorgen, Ängsten und Wünschen an den Allmächtigen zu wenden. Fast meine gesamte
Kindheit verschwendete ich an einen Gott, der sich für mich nie interessiert
hatte und sich nur um seine eigenen Belange kümmerte. Als ich anfing, an ihm zu
zweifeln, wurde ich zur Ausgestoßenen erklärt, regelrecht zum Judas. Man
heftete mir die heilige Schrift an meine unterentwickelten Händchen, auch
bombardierte man mich mit Büchern, in denen kirchliche Hymnen und Lobpreisungen
an den Herrn abgedruckt waren. Es war mir zuwider, da ich an etwas anderes
glauben wollte. Ekel und Hass durchzogen mich, Empfindungen, die mir bis dato
vollends fremd waren. Glauben wollte und
konnte ich nur an etwas Greifbares, und das war für mich nicht ein Gott, der
seine Schöpfung unter meine Füße legte und mich so zwang, ihn anzuerkennen.
Nein. Ich wollte an dich glauben, aber damals warst du noch ein
Phantasiegebilde und unsichtbar für mich.
Als ich das erste Mal von dir las, begriff ich erst, wie kaputt und beängstigend meine Welt war. Ganz gleich, ob mit oder ohne Gott. Sie ist keine schöne Welt mehr und wird es auch nie wieder sein. In ihrer Agonie spuckt sie jeder Kreatur ins Gesicht. Angefüllt mit Verachtung und Abscheu kämpft sie gegen ihren eigenen Untergang an und geht dabei über Leichen, die einstmals ihre eigenen Kinder waren. Doch das haben wir selbst zu verantworten, dass unsere Welt so ist, wie sie ist. Was wir ihr und uns angetan haben, ist unbeschreiblich. Selbst wenn ich versuchen würde, es dir begreiflich zu machen, du würdest es nicht verstehen. Du kennst die Sorgen der Erdlinge nicht und das, was sie getan haben, würdest du nicht als Katastrophe betrachten. Das kleine Dorf Armageddon, in dem sie beginnen wird, hat sich still und leise globalisiert. Der Kurs steht unwiderruflich auf Untergang. Die totale Annihilation lässt sich nicht mehr aufhalten. Nichts können wir tun, damit unsere Welt uns verzeiht. Der Tag ihrer Rache wird kommen und sie wird alles Leben von ihrer sich ewig drehenden blauen Oberfläche wischen. Sie brennt langsam aus und bevor sie sich selbst zerstört und ihre Ausgeburt mit in den Tod reißt, wird sie uns peinigen und Albträume bescheren. Hole mich zu dir, bevor mich dieses Schicksal auch ereilt. Meine einst wunderschöne Welt zerbricht. Eigentlich liegt sie schon in Schutt und Asche, in Trümmern und Scherben, aber niemand will es erkennen. Die Kreaturen meines Planeten wollen es nicht wahrhaben und verschließen ihre Augen vor dem sicheren, uns bevorstehenden Ende. Unsere Welt hat uns gelehrt zu lieben, zu vergeben, richtig und tugendhaft zu handeln. Aber wir, ihre verkommene Brut, haben nicht auf sie gehört. Darum nahm sie uns den letzten Funken Menschlichkeit und straft uns nun mit grausamer Monotonie und tief sitzenden Urängsten. Die verdorbene Saat, die seit Anbeginn der Zeitrechnung in jedem Erdbewohner ruhte, ging auf. In allen erdenklichen Farben schillernd erblüht sie und ich bestreite die Tatsache nicht, dass wir es wahrlich verdient haben. Aber sie hätte nicht aufgehen dürfen, denn unser Todesurteil steht damit fest.
Planet Erde quält uns, in dem er mehr und mehr unmenschliche Züge in uns weckt. Das geschieht zwar zu seinem eigenen Nachteil und es ist ihm vollkommen bewusst, doch mittlerweile auch ganz gleich geworden. Die unaussprechliche Unmenschlichkeit lag schon immer irgendwo tief in unserem Innersten, fest verankert. Mir ist selbstverständlich bekannt gewesen, dass es auch früher schon hin und wieder bei diversen Gestalten zum Ausbruch reiner Boshaftigkeit kam. Aber nun nimmt es überhand. Selbst ich, ein Wesen von Güte und Demut vor meiner Mutter Erde und Schwester Natur, kann mich nicht mehr von Schuld freisprechen. Aber du könntest es. Du könntest all meinen Hass, meine Zweifel, meine Ängste und selbst meine Gier und meinen Neid auf andere, Eigenschaften, die alles Gute in mir vernichten könnten, von mir nehmen und mich von fehlgeleiteten Gefühlen und jeder Todsünde befreien, denn ich bin die Krankheit und du die Heilung. Ja, ich sehe es ein. Der Mensch ist ein Virus und die Welt wurde von ihm infiziert. Sie hat sich angesteckt und leidet nun an einem Krebsgeschwür, das sich für die überragendste Schöpfung aller Zeiten hält. Dabei vegetieren wir nur vor uns hin, blind und taub wahrer Schönheit gegenüber. Auf dir würde ich mich nicht im Todeskampf winden. Auf dir würde ich mich nicht des Nachts fürchten, wäre nicht verloren unter Milliarden Lebewesen. Keine unerwiderte Liebe, keine Falschheiten, keine Intrigen, keine Schande. Keine unkontrollierbare Wut, keine Hoffnungslosigkeit und auch Tränen der Trauer würden nie wieder über meine Wangen gleiten. Deine Bewohner kennen solche Gefühle nicht. Sie ignorieren sie auch nicht. Sie sind einfach nicht vorhanden. Das Leben der Tralfamadorianer ist stumpf und durchstrukturiert, stetig und gefühllos. Aber gerade dadurch leben sie frei von jeglichem Kummer und Angst. Ihre Teilnahmslosigkeit ist berauschend. So zu leben würde mein eigenes Dasein um vieles einfacher machen.
In meiner unreifen Existenz war ich nicht vollkommen, im Gegensatz zum Hier und Jetzt. Ich war dumm und naiv. Den falschen Idealen folgte ich nur zu gern und erblindete so über die Jahre hinweg. Als ich bemerkte, was ich mir in meinem Leben angetan hatte, war es fast schon zu spät. Ich sah mich selbst. Die Wahrheit, die mich aus jedem Spiegel angrinste, erschlug mich um ein Haar. Du weißt, was ich sah. Du warst da. Du warst schon immer bei mir. Wir konnten gemeinsam hinter das verzerrte Bild meines Ichs sehen. Wir beobachteten die vergangenen Jahre, die wie ein Stummfilm, grobkörnig und porös, vor unseren Augen zu flimmern begannen. Wir erkannten zusammen, welche Fehler ich machte, dass ich die falschen Werke las, das Gelesene glaubte, dass ich auf andere mehr hörte als auf meine eigene innere Stimme. Ich hab mir freiwillig die Augen aus den Höhlen stechen und mir die Hände und Füße binden lassen. Ich ließ zu, dass man meine Haut verbrannte, dass man meine Seele in Fetzen riss, dass man mir die Knochen brach und man mir das Rückgrat verdrehte und dann heraustrennte. Unzählige Male wurde ich gequält, unzählige Male ermordet und die Spuren, die ich seit dem mit mir herumtrage, bahnten sich von Woche zu Woche immer gewaltiger ihren Weg in die verhasste Realität. Glühende Speere und Schwerter, die ich mir durch Unwissenheit in mein müdes Herz rammte, blieben stecken und vergifteten meine inneren Organe. Alles, was in meinem Leben Bestand und Gültigkeit hatte, war nichts weiter als eine gelungene Eigentäuschung.
Du hast gewusst, ich würde es eines schönen Tages erkennen und du hast geduldig mit mir auf diesen Tag, auf diese historische Stunde, gewartet. Ich bereue es zutiefst, dass ich dich nicht früher erkannte. Jetzt, da ich mich von allem Irdischen abhebe und sich mein Verstand von mir löst, um sich nach deinem Vorbild zu formen, bin ich bereit für den letzten Schritt. Ich erwarte dich. Schwebe über mir und nimm mir die Last, die ich seit meiner Geburt mit mir herumtrage. Dann führe mich auf den silbernen Lichtstrahl, damit ich meine Reise zu dir antreten kann. Meine Habe brauche ich nicht zusammenzupacken. Ich werde zu dir eilen mit dem, was ich am Leib trage. Bei dir werde ich dann ein neues Leben beginnen, wie du es für mich vorgesehen hast. Weltliche Güter benötige ich von diesem Zeitpunkt an nicht mehr. Losgelöst von Nutzlosigkeiten werde ich aufsteigen. Was immer mich bei dir auch erwartet, ich bin bereit zu lernen und werde alle Weisheiten und Geheimnisse annehmen, die du mir offenbarst.
Der Tag der Erkenntnis, als ich begriff, was du für mich bedeutest, liegt nun schon eine ganze Weile zurück. Ich habe seit dem gelernt, mich nicht zu hassen. Ich schreie nachts nicht mehr, wenn ich mich selbst aus dem Schlaf und den Albträumen reiße. So sehr sie auch an mir zerren, ich bin stärker. Jedes Blutkörperchen, jede Zelle, die in mir aufbegehrt, lege ich nicht mehr in Ketten. Den nächtlichen Besuchern, die mich immer schon begleiteten, stelle ich alles, was aus mir herausbrechen will, entgegen. Durch mein Leben schreite ich mit erhobenem Haupt. Nichts kann mir heute mehr Schmerzen zufügen. Die Zeit dafür ist schon lange vorbei.
Meine Welt, die ich ablehnte, erkenne ich mittlerweile gar nicht mehr. Ich bedauere sie nur noch und ich beweine die Jahre, die ich auf der Suche nach dir verloren hab. Nun, da ich hier sitze und mir die Sehnsucht aus der Feder und meinen Augen rinnt, begreife ich, dass die irdischen Stunden nicht auf meiner Seite sind. Ich werde sterben, einsam und verlassen…